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Intuitives Essen – der Weg aus Diäten, Restriktion und Essanfällen? (Teil I)

Immer mehr meiner KlientInnen, die mit Problemen in ihrem Essverhalten zu mir kommen, äußern den Wunsch „zurück zu einem intuitiven Essverhalten“ zu finden. Auch auf Social Media begegnet mir diese Begrifflichkeit in letzter Zeit vermehrt – von Ernährungsberatern und Fitness-Coaches als DER Ausweg aus Diäten, Restriktion, Heißhunger und Jojo-Effekt beschworen. „Ich esse, wenn ich Hunger habe und höre auf, wenn ich satt bin – ich esse, was mein Körper braucht und wann er es braucht" – klingt erstmal recht einfach und vor allem: es verspricht so viel Freiheit. Wer sehnt sich nicht danach, endlich eine Balance zu finden. Ohne Verzicht und mit ganz viel Genuss – einzige Voraussetzung: man hört auf seinen Körper.

Künstlerische Darstellung des autonomen Nervensystems, das in leuchtenden Farben dargestellt ist und seine weitreichenden Verbindungen durch den menschlichen Körper zeigt.

Gerade, wenn man eine lange Vorgeschichte mit dem Thema Essen hat – schon früh die ersten Diäten probiert hat, immer wieder in Extreme fällt, das Thema Körper und Gewicht einen täglich beschäftigt – dann ist das Ziel, ein intuitives Essverhalten zu entwickeln in meinen Augen schwer bis gar nicht zu erreichen. Im Folgenden will ich verständlich machen, warum.

Dazu macht es Sinn, zunächst mal die Frage zu stellen, was „intuitiv“ überhaupt bedeutet: Intuition ist eine Art inneres Gefühl, welches Menschen hilft, Entscheidungen zu treffen oder Situationen zu beurteilen, ohne bewusst darüber nachzudenken. Die Intuition ist wie eine unbewusste Eingebung, ein unmittelbares Erfassen der Wirklichkeit – sie steht im Kontrast zu Logik oder Überlegung. 


Wie intuitiv leben wir denn heute noch?


Wir leben in einer rationalen Welt, in der wir wenig Gelegenheit haben, intuitive Entscheidungen zu treffen – gerade im beruflichen Kontext wäre das auch ungern gesehen bis riskant. Unsere größte Ressource ist unser Verstand – wir durchdenken, wägen ab, kalkulieren. Logik und Rationalität sind gefragt. Auch in anderen Lebensbereichen bleibt spätestens nach Entwachsen aus dem Kleinkindalter unsere Intuition völlig ungeachtet: wir stehen auf, wenn der Wecker klingelt und nicht, wenn wir ausgeschlafen sind, wir machen weiter, auch wenn wir erschöpft sind, arbeiten mechanisch To-Dos ab, setzen uns mit Themen und Menschen auseinander, bei denen unsere Intuition am liebsten „lauf, so schnell du kannst“ schreien würde. Durch die Vielzahl an Verpflichtungen und Erwartungen, denen wir alltäglich ausgesetzt sind, ist das meist auch gar nicht anders möglich. Gleichzeitig erfreuen sich Smartwatches und Oura-Ringe, die Schlaf, Stresslevel und Wohlbefinden tracken, großer Beliebtheit - Intuition und Körpergefühl werden völlig verlernt. Wie dann darin vertrauen?


Besonders im Kontext Essen gibt es diverse Störfaktoren für eine gesunde Intuition: schon früh lernen wir als Kinder, mehr zu essen, als unser Hungergefühl uns signalisiert, denn „wenn der Teller nicht leer gegessen wird, dann gibt es keinen Nachtisch“ oder „die Sonne scheint morgen nicht“. Und „denk an die armen Kinder in Afrika, die haben gar nichts zu essen“.  Aber auch die so selbstverständliche Einteilung in Frühstück, Mittag- und Abendessen und die Zuteilung bestimmter Lebensmittel zu diesen hat mit Intuition nichts zu tun, gewöhnt uns diese nochmal mehr ab.


Wörtlich aus dem Lateinischen übersetzt bedeutet Intuition „nach innen schauen“. Aber wie oft schauen wir denn nach innen? Intuition setzt voraus, dass wir in Verbindung mit unserem Inneren sind - eine Beziehung zu unserem Körper pflegen, die von Kommunikation in beide Richtungen lebt. Wie sollen wir sonst die Signale unseres Körpers – das sogenannte „Bauchgefühl“, wie die Intuition auch gern genannt wird, erkennen? Statt uns Zeit zu nehmen und achtsam zu sein, lenken wir uns ab, machen uns weg – für die meisten Menschen wird der Körper auf seine Grundfunktionen reduziert. Er soll funktionieren, gesund sein und dabei am besten noch schön aussehen. Wir nehmen seine Signale erst dann war, wenn sie nicht mehr zu überhören sind: Schmerz, Verspannung, Krankheit.


Essen als Regulation für Stress und Emotionen


Intuitives Essen setzt voraus, dass wir die Signale unseres Körpers über das Wahrnehmen hinaus auch noch richtig deuten können. Dass uns die Unterscheidung zwischen einem rein körperlichen Bedarf der Nahrungsaufnahme und Essen als Instrument zur Regulation und/oder Kompensation möglich ist. Bei den meisten Menschen entsteht zwischen Essen und Emotionen schon in der Kindheit eine starke Verknüpfung. Denn schon früh werden wir darauf konditioniert, uns durch Nahrungsaufnahme selbst zu regulieren und negative Gefühle zu kompensieren. In den ersten Lebensmonaten ist es die Muttermilch, die uns nicht nur physisch satt macht, sondern uns auch ein Gefühl von Geborgenheit und Nähe vermittelt. Später sind es Süßigkeiten als Trostpflaster oder als Belohnung für Leistung und gutes Benehmen. Geburtstage, Hochzeiten und sogar Beerdigungen – bei all diesen hochemotionalen Zusammenkünften ist Essen eine der wichtigsten Komponenten. Mit Essen feiert sich besser, mit Essen trauert sich besser. Durch diese funktionale Rolle des Essens, die weit über die reine Versorgung des Körpers hinausgeht, wird unsere Intuition verzerrt.


Gerade für Menschen, bei denen das Essen eine stark regulative Funktion erfüllt, gehen jegliche Essens- Entscheidungen mit einer gewissen Spannung im autonomen Nervensystem einher. Essen oder nicht-Essen ist hier ein Trigger, der das Nervensystem in den Überlebensmodus bringt. Dieser Zustand erschwert nochmal mehr den Zugang zu unserer Intuition in ihrer Klarheit. Wenn wir uns in unserem Vorsatz, intuitiv essen zu wollen, nun erlauben Schokolade zu essen, weil wir ja Lust darauf haben – unsere Intuition sagt ja – diese aber bisher immer zu den „verbotenen“ Lebensmitteln gehörte, erzeugen wir Emotionen wie Angst („was, wenn ich wieder einen Essanfall bekomme“) oder Scham/Schuld („eigentlich darf ich die Schokolade doch gar nicht essen“). Auch, wenn wir uns auf kognitiver Ebene ja die Erlaubnis geben, können wir diese Trigger auf somatischer Ebene nicht einfach ausschalten. Wenn durch diese unangenehmen Emotionen die Spannung im Nervensystem ansteigt, dann wächst damit auch der Drang, sich wieder zu regulieren – an sich ein gesunder Mechanismus. Wenn nun aber Essen unsere bekannte und bewährte Regulationsstrategie ist, dann essen wir doch wieder über unsere Intuition hinaus; die Wahrscheinlichkeit, einen Essanfall zu bekommen, ist groß. Scheitern ist hier quasi vorprogrammiert – denn es gilt „Body over mind“ – wir können rein über den Verstand den Körper nicht aus der Dysregulation „heraus- kontrollieren“.


Zudem kommt erschwerend hinzu, dass viele verarbeitet Nahrungsmittel wie Chips, Schokolade etc. – die wir uns beim intuitiven Essen ja auch wieder gönnen wollen – Stoffe enthalten, die auf biochemischer Ebene dafür sorgen, dass wir gar nicht aufhören können. Echte „Süchtigmacher“ also.


Schlank durch intuitives Essen?


Auch bedarf Intuition in meinen Augen einer gewissen Absichtslosigkeit. Wirklich intuitiv zu essen würde bedeuten, dass unser Gewicht und Aussehen nachrangig wären – wir ein Einpendeln bei einem höheren Gewicht, als es unserer Idealvorstellung entspricht, wertfrei in Kauf nehmen würden. Das „Intuitive Essen“ in unserer Vorstellung und wie es auch von „Experten“ verkauft wird, soll uns langfristig aber doch an unser Ziel eines Wohlfühl-Körpers führen – und wenn wir ehrlich sind, ist dieser an gewisse optische Kriterien einfach immer geknüpft.


Wir erhoffen uns letztendlich also die Rettung durch etwas, was in unserer Lebensrealität in seiner Gänze gar nicht wirklich umsetzbar ist – und schon gar nicht so einfach, wie es sich anhört. Oft führen die Versuche, rein intuitiv zu essen, zu Kontrollverlust und wir rutschen tiefer in alte Muster, machen uns Vorwürfe und stehen wieder bei 0 – der Selbstwert im Minusbereich. Was ist nun also die Lösung? Erstmal: die Erwartungen runterschrauben – intuitives Essen ist nicht der heilige Gral. Realistisch die eigene Geschichte und heutige Beziehung zu Essen betrachten und vor allem: annehmen. Und dann die Bedingungen schaffen, auf denen für dich persönlich ein intuitivERes Essverhalten möglich sein kann. Dabei ist mein Mantra in der Arbeit mit betroffenen Klienten – aber auch im eigenen Umgang mit Essen: Rahmen statt Regeln. Denn absolute Freiheit kann auch überfordern. Was das genau bedeutet und was das Nervensystem damit zu tun hat, erkläre ich in Teil 2


Du wünschst Dir professionelle und liebevolle Begleitung auf deinem Weg raus aus Emotionalem Essverhalten und Essanfällen? Nimm gern Kontakt zu mir auf und wir schauen bei einem unverbindlichen und kostenlosen telefonischen Kennenlernen, ob es passt.


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